[wilhelmtux-discussion]Rückblick3. OSS-Tagung

MatthiasStürmer mailinglists at stuermer.ch
Tue Nov 28 14:29:49 CET 2006


Hallo Theo

Merci für deine klaren Worte! Ja, du hast absolut Recht und sprichst mir
auch aus dem Herzen. Als ich von Dieter Klemme das erste Mal hörte, dass
sie auf Vista und 2007 migrieren werden, war ich auch enorm enttäuscht.
Ich finde es, wie du auch schreibst, einfach keine Entschuldigung zu
sagen "der Bürger will keine Experimente." Ja, wir wollen unsere
Steuergelder nicht in den Sandsetzen lassen, aber wir wollen auch
Fortschritt, Erneuerung, Mut für Innovation. Schliesslich gibts keinen
Verfassungsartikel der besagt "die öffentliche Verwaltung ist
verpflichtet ein late adopter zu sein." Es sind die Leute in den
jeweiligen Gremien, Projektausschüssen etc. die entscheiden, was sie auf
welchen Technologien umsetzen wollen. Klar, wenn die Politik käme,
MÜSSTE die Verwaltung reagieren. Aber warum will sie nur reaktiv sein,
nicht proaktiv?

Ich will nicht alles schlecht reden, schliesslich hat das ISB mit der 3.
OSS-Tagung bewiesen, dass es sich kritischen Ansichten stellt. Jedoch
finde ich es schon komisch, einerseits viel Geld in Strategien,
Veranstaltungen etc. zu investieren und dann die wirklich relevanten
Projekte doch mit Altbewährtem durchzuziehen. Persönlich glaube ich bei
unserer so kurzlebigen Branche auch nicht an zweckmässige IT-Strategien
fürs Jahr 2010 und danach - bis die umgesetzt werden, ist das Wissen von
heute eher Bremser als Ermöglicher. Dass Verwaltungen auch heute schon
anders handeln können, beweisen Länder wie Deutschland und Spanien schon
seit Jahren - und wie's scheint ist auch Frankreich auf dem besten Weg
dazu.

Ja, ich denke, es ist Zeit für eine Renaissance der Aktivitäten von
Wilhelm Tux. Dass jetzt, wo OSS technisch reif auch für den Desktop ist
und wo OSS-Projekte in öffentlichen Verwaltungen auf der ganzen Welt am
laufen sind, wir uns einem neuen Anlauf auf politischer Ebene annehmen.
Selber bearbeite ich seit einigen Monaten Kontakte zu EVP-Politikern und
habe für sie folgende kurz zusammengefasste *politischen* Vorteile von
OSS in der öffentlichen Verwaltung und für Schulen kurz zusammengestellt
(bitte ergänzen wenn möglich!):

1. Öffentliche Hand hat keine rechtliche Abhängigkeiten mehr beim
Software-Lieferanten (da Quellcode der Software frei verfügbar ist)
2. Unterstützung regionaler Wirtschaft und Innovationen (da lokale
Unternehmen Umsetzung machen können und z.B. Lizenzkosten an
amerikanische Unternehmen gespart werden)
-> siehe Fraunhofer-Studie
http://www.iao.fraunhofer.de/d/projekte/oss.hbs
3. Im Büro/Schule eingesetzte Software kann auch kostenlos zu Hause
eingesetzt werden
4. Der Upgrade-Prozess wird nicht mehr von Firmen bestimmt, sondern wird
von einer Community vorgegeben, bei welcher die öffentliche Hand selber
beitragen kann
5. Öffentliche Hand erarbeitet sich Knowhow, kann mehr selber bestimmen
wie die Software sich entwickelt und ist auch technisch weniger abhängig
von externen Firmen und deren Lizenzpolitiken

Das Kosteneinsparungsargument habe ich bewusst ausgelassen, obwohl es
aufgrund der Resultate der oben erwähnten Studie auch gut wieder
reingenommen werden kann. Schliesslich hängen alle
Einsparungsberechnungen stark davon ab, wie lang der
Betrachtungszeitraum genommen wird.

Wäre es denkbar (falls nicht genau so schon vorhanden), auf der
WT-Website ein solches von anderen erweitertes OSS-Argumentarium für
PolitikerInnen inkl. Polit-FAQ zusammenzustellen und kontinuierlich mit
aktuellen Studien, Referenzen etc. anzureichern? Das ganze mit dem Ziel
ein OSS-Dossier für PolitikerInnen zu haben, da diese - wenn sie nicht
grad selber Informatiker sind - sich nicht für die Materie auseinander
setzen werden.

Eine andere politisch denkbare Aktion wäre es, alle kommenden
Nationalratskandidaten bezüglich ihrer Haltung von OSS in der Verwaltung
zu fragen und dann entsprechend eine Liste der von WT empfohlenen
Kandidierenden zusammen zustellen. Ist halt aufwändig durchzuführen,
aber wäre von Interesse der Politik, denn Wahlen sind deren Zahltag ;)
(ich darf so reden, weil ich ja selber schon Kandidat war....)

Dann auf eine Erneuerung unserer Mission! Hoffnungsvoll,

Matthias Stürmer



Am Dienstag, den 28.11.2006, 13:00 +0100 schrieb Theo Schmidt:
> Hierzu wurde gar nichts diskutiert oder hinterfragt und es gab auch 
> keine unmittelbare Gelegenheit dazu. Ich habe zwar viel gefragt, aber 
> getraute mich nicht, ein Statement abzugeben. Ich habe in der Pause
> mit 
> Dieter Klemme diskutiert. Er hatte viele einleuchtende sachliche
> Gründe, 
> warum es nicht schneller geht [langsamer, als dies in der
> OSS-Strategie 
> der ISB 2005 suggeriert wird] und warum die Bundesverwaltung enorme 
> Resourcen in die Migration von Windows XP und MS Office zu Windows
> Vista 
> und MS Office 2007 steckt, statt mit freien Lösungen vorwärts zu
> machen.
> 
> Fachlich mag vieles einleuchten. Aber auf der emotionellen Ebene bin
> ich 
> wütend. Ich fühle, dass "wir" über den Tisch gezogen werden. Unsere 
> Seite wird zwar ernst genommen und nett behandelt, aber hingehalten.
> Die 
> OSS-Strategie 2005 scheint mir Makulatur, die Geschichte mit der SIK 
> undurchsichtig und undemokratisch 
> (http://www.symlink.ch/article.pl?sid=06/10/06/0911244&mode=nested).
> Das 
> Killerargument ist es, das an einer einheitlichen Plattform
> festgehalten 
> wird. Mit diesem Argument kann man alles auf alle Zeiten verhindern. 
> Richtigerweise wird gesagt, dass die "User" nichts wissen wollen und 
> dass ein Mangel an FOSS-tauglichen Informatikern und Firmen herrscht. 
> Aber ich spüre einfach keine Leidenschaft. Kein politisches Herz für
> die 
> freie Informationsgesellschaft und die "Res Publica", die öffentliche 
> Sache. Ich habe nichts gegen die grossen Firmen, die ihrem Profit 
> folgen. Aber ihre Ziele sind nicht die Ziele der Öffentlichkeit und 
> nicht die Ziele der Kunden. Wie machen wir das unseren Politikerinnen 
> und Administratoren klar?
> 
> Florian Schiessl ist zwar auch pragmatisch: "München hat einen 
> pragmatischen Entscheid gefällt....Wir wollten keine Polemik
> anzetteln, 
> sondern suchten die beste Lösung für unsere Bedürfnisse." Aber
> München 
> hat auch politisch entschieden.
> 
> Wie seht ihr das? Sind meine Gefühle falsch? Oder müssen wir
> polemischer 
> werden, um weitere Rückschläge zu vermeiden? Wird sich die Verwaltung 
> erst unter politischem Druck weiter bewegen?
> 
> 
> Theo Schmidt
> 



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