[wilhelmtux-discussion]
Freies Betriebssystem (Linux) in der Parlaments- undBundeshausinformatik,
Strahm 2003
Theo Schmidt
theo.schmidt at wilhelmtux.ch
Wed Jun 28 14:27:51 CEST 2006
http://www.parlament.ch/afs/data/d/gesch/2003/d_gesch_20031052.htm
Daraus das Wichstigste:
03.1052 - Einfache Anfrage.
Freies Betriebssystem (Linux) in der Parlaments- und Bundeshausinformatik
Eingereicht von
Strahm Rudolf
Einreichungsdatum
08.05.2003
Eingereicht im
Nationalrat
Stand der Beratung
Erledigt
Eingereichter Text
Kostenbewusste grosse Konzerne, aber auch der Bundestag der
Bundesrepublik Deutschland, haben ihre Informatiksysteme, oder zumindest
die Server, auf das freie Betriebssystem Linux umgestellt. Die Nutzung
des freien Informatikbetriebssystems anstelle von Microsoft-Systemen
ermöglicht der Wirtschaft enorme Einsparungen. Die Vorspurfunktion des
deutschen Bundestages hatte eine starke Signalwirkung für die Wirtschaft
und die Gesellschaft.
Ich ersuche um Beantwortung folgender Fragen:
1. Wie sind die Einschätzungen und Optionen bezüglich der Nutzung des
Betriebssystems Linux seitens der Informatikdienste des Parlamentes und
der Bundesverwaltung?
2. Ist vorgesehen, die freie Software für Parlamentsmitglieder
einzuführen oder wenigstens Alternativinstallationen zur Verfügung zu
stellen?
3. Ist vorgesehen, wenigstens die Server mit dem freien Betriebssystem
zu versehen?
4. Ist den Informatikdiensten und den Ratsbüros bewusst, dass die Wahl
des Informatiksystems des Parlamentes eine wichtige Signal- und
Vorspurfunktion für die Wirtschaft und die Gesellschaft darstellt?
Antwort des Bundesrates vom 26. September 2003
[einige Textblöcke aus den früheren Antworten]
...
Das Betriebssystem Linux wird bereits heute in der Bundesverwaltung
eingesetzt. Der Internetauftritt der Bundesverwaltung ist zum grössten
Teil mit "open source software" und Linux als Betriebssystem realisiert.
Insgesamt werden rund 5 Prozent aller Server unter Linux betrieben. Die
Arbeitsplätze sind im Rahmen von Nove-it mit Windows und Microsoft
Office standardisiert worden. Eine allfällige Ablösung hätte
weitreichende Konsequenzen (Interoperabilität innerhalb der
Bundesverwaltung und mit externen Stellen, Migrationsaufwand, Umschulung
der Mitarbeiter usw.) und steht zurzeit, kurz vor Abschluss des
Programms Nove-it, nicht zur Diskussion. Die Option wird aber im Rahmen
von Testinstallationen und in speziellen Umgebungen weiterverfolgt.
Um zudem Chancen und Risiken freier und offener Software ("free and open
source software", Foss) abzuschätzen und Entscheidgrundlagen für deren
künftigen Einsatz bereitzustellen, erarbeitet das
Informatikstrategieorgan Bund (ISB) gegenwärtig eine Foss-Strategie als
Teil der Informatikstrategie der Bundesverwaltung. Sie wird Ende 2003
vorliegen.
[
aktuell:
http://internet.isb.admin.ch/internet/strategien/00665/01491/index.html?lang=de
]
Die Parlamentsdienste sind nicht den Vorgaben der allgemeinen
Bundesverwaltung für den IKT-Einsatz unterworfen. Zu den speziellen
Fragen der Parlamentsinformatik hat deshalb der Bundesrat die
Stellungnahme des Büros des Nationalrates eingeholt:
Antwort des Büros des Nationalrates vom 27. August 2003
Das Büro des Nationalrates bezieht sich in der Antwort auf die obigen
Fragen ausschliesslich auf die Informatiksysteme des Parlamentes, welche
durch den Dienst für Informatik und neue Technologien (DINT) betrieben
werden. Der DINT prüft periodisch den Einsatz von "open
source"-Programmen, zum letzten Mal im Januar/Februar 2003.
Zu Frage 1: Linux wird beim DINT schon vereinzelt auf Servern
eingesetzt. Ein flächendeckender Einsatz ist zurzeit nicht möglich, da
für das Parlament wichtige Softwarepakete mit Linux nicht kompatibel
sind. Zudem ist zu beachten, dass es mittlerweile unterschiedliche
Linux-Derivate (Distributionen) gibt, deren Kompatibilität untereinander
beschränkt ist.
2. In der Sitzung vom 16. Mai 2003 hat die Verwaltungsdelegation
entschieden, vorläufig auf den Einsatz von "open source"-Software zu
verzichten. Dieser Entscheid fiel einerseits aufgrund der Tatsache, dass
Linux für den Einsatz auf Notebooks nicht besonders geeignet ist, da es
eingebaute Peripherien zumeist nicht oder nur schlecht unterstützt,
andererseits aufgrund der Resultate des Prüfberichtes "Vergleich MS
Office - StarOffice" vom 1. Februar 2003 durch einen unabhängigen
Experten. Nachfolgend ein Auszug:
- Die einzig wirkliche Alternative zu MS Office ist Open-Office oder
"StarOffice" (kommerzielle Version von Open-Office, welche von der Firma
Sun vertrieben wird). StarOffice stellt in den Bereichen
Textverarbeitung, Präsentation und Tabellenkalkulation eine zu MS Office
weitgehend gleichwertige Funktionalität zur Verfügung. Das Handling
unterscheidet sich jedoch zum Teil signifikant von MS Office (z. B.
Serienbrieffunktionalität). Bei StarOffice fehlen eine zu MS Outlook
äquivalente Funktionalität und Funktionen, welche die Zusammenarbeit in
Teams unterstützt.
- Grundsätzlich könnten sowohl Support und Schulung für beide Produkte
angeboten werden. Die meisten aktuellen Anwender verfügen über
Kenntnisse über MS Office, bei StarOffice sind diese meist nicht
vorhanden. Dies führt zu einem entsprechenden Einführungsaufwand und
geringeren Selbsthilfemöglichkeiten unter Kollegen und im Team.
- MS Office arbeitet mit komplexen eigenen Formaten für die
Speicherung der Daten. Es sind keine Import/Export-Funktionen für die
Übernahme von StarOffice-Dokumenten vorhanden. StarOffice arbeitet mit
dem auch im Bereich der Bundesversammlung eingesetzten XML-Format.
Microsoft hat eine Unterstützung für XML für die kommende Version
angekündigt. Umfang und Qualität dieser Unterstützung können heute aber
noch nicht abgeschätzt werden. StarOffice bietet eine ausgefeilte
Import/Export Funktion für MS-Office-Dokumente, um den Datenaustausch
mit den mit MS Office ausgestatteten Büroumgebungen zu ermöglichen. Die
Import Funktion kann komplexe Strukturen (z. B. Animationen oder eine in
Word eingebettete Excel-Tabelle) nur begrenzt und Makros überhaupt nicht
verarbeiten. Probleme bestehen auch beim Exportieren von StarOffice
Dokumenten in das Word-Format.
- Die Stabilität der beiden Pakete ist vergleichbar. MS Office bietet
eine zusätzliche Unterstützung für die Wiederherstellung von Dateien
nach einem Systemabsturz, welche StarOffice nicht bietet.
[TS: IMHO eher umgekehrt!]
Aufgrund der weiten Verbreitung von MS Office sind Office-Umgebungen
auch häufig das Ziel von Viren (insbesondere Outlook). Eine
wirtschaftlich interessante Alternative zu Outlook ist aber nicht
vorhanden.
- Die Wartung beider Produkte ist vergleichbar. StarOffice kann nicht
aufgrund seiner "open source"-Strategie als besser eingestuft werden, da
zusätzlich mögliche eigene Eingriffe im System eine unrealistische
Einarbeitung in den "source code" voraussetzen und langfristig
Inkompatibilitäten mit neuen Versionen des Produktes nach sich ziehen.
- Beide Produkte sind grundsätzlich im Umfeld der Bundesversammlung
einsetzbar. Die Integration von StarOffice müsste aber erst noch
realisiert werden (z. B. Neuprogrammierung von Makros). StarOffice
verbindet sich mit dem jeweils eingesetzten Standard-Mail-System. Für
die Integration von Daten (z. B. Adressen für Serienbriefe aus einer
Datenbank) aus anderen Anwendungen steht StarBase als
Datenübernahme-Tool zur Verfügung, welches aber zum Teil umständlich in
der Bedienung ist. [TS: stimmt leider!]
- Attraktiv an StarOffice ist die kompakte Speicherung der Dokumente
im XML-Format, welche den Datenaustausch mit anderen Systemen
vereinfacht. Zu beachten ist jedoch, dass damit die Integration von MS
Office im Bereich der Bundesversammlung weit fortgeschritten ist und
dass XML nur die technische, nicht aber die weitaus aufwendigere
inhaltliche Ebene der Integration vereinfacht.
- Die Installation, Pflege und Wartung einer "open source"-Variante
für die Ratsmitglieder-Informatikinfrastruktur hätte unweigerlich zur
Auswirkung, dass der DINT im Bereich Support zwei bis drei zusätzliche
Stellen mit entsprechenden Fachspezialisten besetzen müsste.
3. Der DINT setzt vereinzelt Linux als Serverbetriebssystem ein (s.
Antwort zur Frage 1) und wird dies auch weiterhin vermehrt tun, wenn es
die Technik und die Organisation zulässt.
Der Betrieb einer heterogenen Informatikinfrastruktur bringt aber
zwangsläufig auch einen beträchtlichen Mehraufwand mit sich. Der DINT
verfügt im Bereich System und Kommunikation über drei Stellen, welche
für den 24-Stunden-Betrieb von 65 Servern (Datenbank-, Kommunikations-,
Transaktions- und Datenservern) mit total drei Terabyte Daten
verantwortlich sind. In ihrem Zuständigkeitsbereich liegt auch ein
redundantes Datennetzwerk mit etwa 180 LAN-Komponenten (Switch, Hub,
Routers).
Da die Anforderungen an die Verfügbarkeit der Informationen auf
unseren Systemen überdurchschnittlich hoch und die personellen
Ressourcen im DINT knapp bemessen sind, wird auf eine zunehmende
Heterogenität der Serverumgebung vorläufig verzichtet.
4. Das Büro des Nationalrates, die Verwaltungsdelegation sowie die
Informatikverantwortlichen der Parlamentsdienste sind sich dieser
Tatsache schon länger bewusst. Als Folge davon werden betroffene
Mitarbeiter gezielt auf alternativen Betriebssystemen geschult. Damit
soll mittelfristig eine Grundvoraussetzung geschaffen werden, um "open
source"-Software vermehrt einsetzen zu können.
Insbesondere wurde auch darauf geachtet, dass das "wirkliche
(elektronische) Kapital" des Parlamentes, d. h. die Daten und nicht die
Systeme, in einem neutralen, von Softwareherstellern unabhängigen Format
(SGML und XML) gespeichert wird.
Zuständig
Finanzdepartement (EFD)
Kommentar TS: Wiederum scheint der Austausch von Office-Dokumenten am
wichtigsten zu sein. Wir haben somit einen typischen Realo-Fundi
Konflikt: Die Realos halten am alten fest, obwohl schlecht, weil es
derzeit am einfachsten ist, die Fundis möchten in eine Lösung
investieren, welche die Nachteile weitgehend beseitigt, aber kurzfristig
"kostet". Dieselbe Diskussion findet man in vielen Gebieten, sei es die
Einführung des metrischen Masseinheiten-Systems SI (bei uns schon
lange), Sommerzeit, Währungen, etc.
Somit dürfte dich die Hautpdiskussion darum bewegen: soll die
(offizielle) Schweiz wie z.B. Norwegen ab 2007 eher die neue ISO-Norm
OASIS Open Document Format verwenden, oder das neue MS Open XML, welches
zwar offen, aber nicht frei ist? Wie können wir das politische
Bewusstsein dafür erhöhen?
Die Frage der Linux-Server ist pragmatischer, aber ich frage mich, warum
es erst etwa 10% sind. Für Linux Desktops dürfte es für die langsame und
konservative Schweiz (nicht negativ gemeint) noch etwas zu früh sein.
Das war also der letzte mir bekannte parlementarische Vorstoss. Ein
weiterer ist überfällig. Welche Thematik wäre am wichtigsten?
Theo Schmidt, Präs. WT
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