[wilhelmtux-discussion] Re: Zisyadis 2002
Manfred Morgner
manfred.morgner at gmx.net
Sun Jul 2 03:56:38 CEST 2006
Hallo Nicolas,
Am 01.07.2006 um 23:27 schrieb Nicolas Iselin:
> War nicht auch die Format-Diskussion im Zentrum der berühmt
> gewordenen Kommunikation zwischen einem Peruanischen
> Abgeordneten und Microsoft?
> (http://www.theregister.co.uk/2002/05/19/
> ms_in_peruvian_opensource_nightmare/)
Ich verstehe diesen Brief anders. Hier geht es um Freie Software.
Herr VILLANUEVA NUÑEZ schreibt, dass es Microsoft freisteht, ihre
Sourcen offenzulegen und sich so an der Ausschreibung zu beteiligen.
> gesamten politischen Spektrum sein: Die SVP müsste zusammenzucken,
> wenn sie realisiert, dass der langlebige Zugang zu unseren
> _selbst_erzeugten_
> Daten vom Goodwill eines ausländischen Konzerns abhängt. Die Linken
> müssten entsetzt darüber sein, dass nur die Leute, die sich eine
> teure Lizenz leisten können, Zugang zu den Daten haben (Das ist jetzt
> stark simplifiziert ;-)
Das sollte so sein. Ich halte das nicht für simplifiziert. Hier ist
genau der Grund, warum dort, wo die Daten der Kern des Geschäfts
sind, also in der Wirtschaft, aber besonders in der Regierung, nur
Freie Software akzeptabel ist. Wenn die Regierung die Software nicht
beherrscht (im Sinne von HERRSCHEN, nicht im Sinne von Verstehen),
geht die Macht nicht mehr vom Volk, sondern von Softwarelieferanten
aus. Ganz abgesehen von der Frage, wie eine Regierung kontrollieren
will, was eine proprietäre Software ausser der offensichtlichen
Funktionalität noch alles kann und macht.
>> Kurz, beides ist wichtig, aber die generelle Frage 'Freie oder
>> proprietäre Software' ist letztlich wichtiger.
>
> Das ist jetzt schon eher eine Ueberzeugungsfrage und mehr abhängig
> von der politischen Grundhaltung. Es geht ja nicht darum, die Leute
> zu überzeugen, die ohnehin schon unserer Meinung sind.
Da bin ich mir nicht sicher, ob es hier um Überzeugungen geht. Meiner
Meinung nach geht es hier darum einen einfachen Sachverhalt zu
verstehen. Dieser Sachverhalt ist: "Wer Deine Daten beherrscht,
beherrscht Dein Geschäft."
Die damit verbundenen Implikationen bedürfen sicher der Erklärung,
aber Sachverhalt als solcher ist ein Naturgesetz. Für mich ist das
natürlich viel einfacher zu verstehen weil ich aus der DDR komme. In
der DDR war bis zum Tag der Öffnung der Mauer jedem Bürger klar und
gesetzt und 100%ig sicher, dass der Sozialismus niemals enden wird.
NIEMALS und zwar GARANTIERT. Jemandem, der die Zerstörung derartig
feststehender Gegebenheiten noch nie selbst erlebt hat, fällt es
schwer, zu glauben, dass sich an feststehenden Glaubensgrundsätzen
(wie dem Glauben an das Naturgesetz Microsoft oder die Existenz
seiner gewohnten Gesellschaft) irgendwann etwas ändern könnte, erst
recht nicht zu seinen Lebzeiten. Leider sind selbst repräsentative
Ereignisse der Vergangenheit, wie die Zertrümmerung von AT&T, nicht
lehrreich genug, die Zertrümmerung und/oder den Untergang von
Microsoft und damit den unkontrollierten Verlust wichtiger Daten für
möglich zu halten. Jede Generation benötigt ihr eigens Waterloo. Grau
ist alle Theorie!
Womit wir womöglich noch viel grössere Probleme haben, ist der
eigentümliche Charakter der Demokratie. Einem Monarchen kann man viel
leichter erklären, dass Zukunftssicherheit wichtig ist, denn er will
seine Monarchie für die Ewigkeit rüsten. Einem Abgeordneten ist doch
scheissegal was nach seiner Amtszeit passiert, wenn er nur sein
Einkommen gesichert hat.
Was das für die Vorgehensweise ei dem Versuch der 'Rettung des
Abendlandes' für Folgen hat, darüber lohnt sich nachzudenken. Wieso
sind die Staatskassen leer? Weil die Abgeordneten zukunftsträchtige
Entscheidungen treffen?
Vielleicht sollte man den Leuten erklären, dass die Gesellschaft, die
NACH der Demokratie kommt, keine Abgeordnetengehälter für ehemalige
Abgeordnete mehr zahlen wird. Aber das glauben diese Leute erst, wenn
es soweit ist. Bis dahin glauben sie daran, dass die Demokratie ewig
halten wird, weil sie noch nichts anderes kennen gelernt haben.
> Mir erscheinen die Argumente für offene Formate einleuchtender und
> grundlegender - und deshalb glaube ich, dass das der entscheidende
> Punkt ist.
Im Grunde vermutlich nicht - siehe vorherigen Absatz. "Was kümmern
mich die Dokumente, die ich gestern verfassen lies?"
> Auch bin ich der Ueberzeugung, dass wir erst mit offenen Formaten
> gleich lange Spiesse haben und open source überhaupt eine Chance
> hat. Wenn Microsoft wirklich seinen Widerstand gegen offene Formate
> aufgibt, kann das zwar kurzfristig einen Dämpfer geben - aber wenn
> der Lock-In Effekt mal weg ist, kommt endlich Bewegung in die Sache...
Nein. Wenn der Lock-In-Effekt über die Formate weg ist, wird es
bereits neue Mechanismen geben - Gesetze werden das sein. Man muss
nur die Augen offen halten, was in Brüssel passiert. Die dortigen
Entscheidungen werden in der Schweiz ja schneller umgesetzt werden
als irgendwo in einem EU-Land. Die aktuelle Bewegung zum Schutz von
Verwertungsgesellschaften ist ein ideales Vehikel. TCPA wird die
technische Umsetzung garantieren.
Und nein, Microsoft kann nur Einhalt geboten werden, indem man
Microsoft Einhalt gebietet, nicht indem man irgendwo ein Feld
beackert und hofft, dass man danach Interesse für die Ernte wecken
kann. Von Microsoft lernen heisst siegen lernen. Es müssen Gesetze
her, die die Unversehrtheit der Institution "Demokratischer Staat"
schützen. Und zwar spezielle vor Risiken, die das gesamte
Staatsgefüge auf einen Schlag sprengen können, wie z.B. proprietäre
Software aus dem Ausland.
Im übrigen sind sich die USA dessen schon immer bewusst. Dort würde
niemand auf den Gedanken kommen, den Staat von ausländischen
Produkten abhängig zu machen. NIEMALS! und noch nie in der kurzen
Geschichte dieses Staates.
> Wenn ich dich richtig verstehe:
> . Formatdiskussion ist sinnvoll und notwendig
> . Formatdiskussion hat aber Risiken (MS unterstützt plötzlich offene
> Formate)
> . offene Quellen ist wichtiger
Genau. Besonders der letzte Punkt.
> Beim letzten Punkt bin ich mir nicht so sicher. Ob ich hier einfach
> vor der Grösse der Aufgabe kapituliere und mir das einfachere Ziel
> vornehme (offene Formate ist 'einfacher' zu erreichen als offene
> Quellen) oder ob die Welt wirklich schon 'gut genug' wäre, wenn es
> nur noch offene Formate gäbe? Wenn du mir hier mit einem oder zwei
> Argumenten oder Szenarien die Augen öffnen würdest, wäre mir
> geholfen...
Da brauchst Du Dir keine Gedanken zu machen. Wenn es Herstellern wie
Microsoft und Oracle gelingt, ihre Politik weiter erfolgreich
umzusetzen, wird unsere heutige Gesellschaftsform untergehen. Dass
ich diese Möglichkeit für realistischer halten kann als alle anderen
hier auf der Liste, habe ich ja bereits dargelegt.
Eins ist für mich sicher. Sich bemühen ist, unabhängig vom Ausgang
der Bemühungen, in jedem Fall besser als nichts zu tun.
Unsicher bin ich allerdings ob es für das Taktieren mit
Sekundäreffekten (Dateiformate) überhaupt noch genug Zeit gibt;
Angesichts der drohenden Gesetzeslage.
Viele Grüsse,
Manfred.
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