Re: [wilhelmtux-discussion] Ein paar Fragen zum Einsatz von Freier und OpenSource Software in öffentlichenInstitutionen und Behörden [mit Links]

Theo Schmidt theo.schmidt at wilhelmtux.ch
Tue Dec 12 11:10:00 CET 2006


Marc André Tanner schrieb:
> Ich schreibe derzeit als Teil meiner Lehrabschlussprüfung als
> Informatiker eine selbständige Vertiefungsarbeit mit dem Titel "Freie
> und OpenSource Software in der Schweiz". In diesem Zusammenhang möchten
> ich mehr über die Verbreitung von FOSS in schweizer Behörden erfahren
> und würde Ihnen diesbezüglich gerne ein paar Fragen stellen.

Vielen Dank für Ihr Interesse. Uns würde natürlich Ihre Arbeit 
interessieren, wenn Sie fertig ist. Wir unterscheiden grob zwischen 
Bund, Kantonen, Gemeinden und Institutionen wie öffentliche Schulen, die 
von allen tangiert werden.


> Welche Vorteile entstehen durch den den Einsatz von OpenSource Software?
> 
> Wo sehen sie die grössten Hindernisse für den Einsatz von OpenSource
> Software in öffentlichen Institutionen und Behörden?

Ich verweise auf die Antworten von Nicolas Iselin und Manfred Morgner.
http://wilhelmtux.ch/vpipermail/wilhelmtux-discussion/2006-December/003015.html
http://wilhelmtux.ch/vpipermail/wilhelmtux-discussion/2006-December/003016.html
Zusätzlich kommt der Effekt von "Lock-in". Man ist schon in der 
Abhängigkeitsfalle, realisiert dies, kommt aber nicht mehr raus ohne 
grosse Kosten, und macht deshalb wie gewohnt weiter. Hier sind nicht 
einmal die Produkte von Microsoft die schlimmsten; andere Hersteller 
ausserhalb des Rampenlichts der Öffentlichkeit sind noch effektiver im 
Halten von partiellen quasi-Monopolen durch Ausnutzen von proprietären 
Formaten und dergleichen.

Ein weiteres grosses Hindernis sind die MitarbeiterInnen, die zum 
grössten Teil private Erfahrung mit Windows und seinen 
Standardprogrammen, allenfalls ein bisschen Mac, haben, aber andere 
Systeme selten kennen. Kaum jemand wird freiwillig z.B. den Desktop 
wechseln. Dadurch entstehen teilweise irrationale Aengste mit starken 
Emotionen. Eigentliche Migrationen sind deshalb nur möglich, wenn 
entweder politische Entscheidungen gefällt werden oder Angestellte in 
Schlüsselpositionen während Jahren beharrlich auf ein Ziel hinzu 
arbeiten. (Auf der Server-Ebene ist es weniger dramatisch, da dies 
ausschliesslich Fachleute angeht. Hier werden zuweilen Migrationen z.B. 
zu Linux-Servern gemacht, ohne dass dies auffällt.)

Ein weiteres Hindernis ist die Angst vor polyvalenten Systemen. Die 
meisten Verwaltungen haben eine unübersichtliche Vielfalt von 
Anwendungen und Prozessen. Da ist es verständlich, nicht noch mehr 
Programme und Systeme verwalten zu müssen und stattdessen eine 
Vereinheitlichung anzustreben. Dabei wird verkannt, dass dies in der 
Informatik-Welt heutzutage einfach nicht mehr geht. Man muss sich mit 
mehreren Systemen auseinander setzen, genau wie man mehrere Sprachen 
lernen muss oder sich nicht mehr auf die selige alte PTT für sämtliche 
Telekommunikationsaufgaben verlassen kann.


> Welche Aktionen werden unternommen um die Verbreitung von FOSS zu
> fördern?

Siehe z.B.
http://wilhelmtux.ch/vpipermail/wilhelmtux-announce/2006q4/000061.html


> Hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren die (politische)
> Wahrnehmung von OpenSource Software verändert? Wenn ja inwiefern?

Das Thema ist bekannter. Vor wenigen Jahren wussten die wenigsten Leute 
überhaupt von FOSS. Heute haben die meisten PolitikerInnen schon davon 
gehört, zumindest von Linux. Auch die Vorteile sind oft bekannt, werden 
aber auch vermehrt verdrängt und ignoriert. Laut Gartner sind viele 
FOSS-Projekte zur Zeit im "Trough of Dissillusionment" im sogenannten 
"Hype-Cycle", D.h., nachdem die Phase überhöhter Erwartungen vorbei ist, 
kommt eine Phase der Ernüchterung, bis sich die Wahrnehmung auf ein 
realistisches Niveau hinzu bewegt.


> Welche Vorurteile oder Missverständnisse bestehen?

Siehe Nicolas Iselin.
Ausserdem begreifen die Menschen nicht, dass etwas das "gratis" ist, 
qualitativ gut sein kann. Der Unterschied zwischen "gratis" und "frei" 
interessiert kaum. Der Unterschied zwischen "sein" und "schein" wird zu 
wenig wahrgenommen: Bekanntlich sind viele freie Programme in der 
Funktion und Sicherheit besser als ähnliche proprietäre, jedoch haben 
letztere oft eine anwenderfreundlichere graphische Steuerung. Da eher 
nach den äusseren als den inneren Werten beurteilt wird, werden z.B. die 
eklatanten Sicherheitsproblemen vieler Windows-Produkte verdrängt 
während kleine Usability-Fehler freier Programme überbewertet werden.

Die Vertreter der Öffentlichkeit realisieren zu wenig, dass Sie die Res 
Publica und ihre Freiheit und nicht die Interessen von einzelnen Firmen 
vertreten sollten.


> Welche politischen Gruppierungen oder Parteien engagieren sich für den
> Einsatz von OpenSource Software?

http://wilhelmtux.ch/vpipermail/wilhelmtux-discussion/2006-December/002995.html


> Wissen Sie in welchen Kantonen bereits FOSS eingesetzt wird, oder
> zumindest entsprechende Pläne existieren?

Eingestzt wird FOSS natürlich überall, da es z.B. ein Bestandteil des 
Internets ist. In der weitergehenden Verwendung ist Solothurn am 
weitesten. Viele andere Kantone investieren in FOSS, besonders in der 
Westschweiz, aber auch z.B. die Kantone Aargau, Thurgau, St. Gallen, 
Schwyz, Bern, Zürich, Appenzell, Freiburg und Basel.


> Wie sieht es auf Bundesebene aus?

Der Bund hat eine Abteilung "Informatikstrategieorgan Bund ISB"
http://internet.isb.admin.ch/internet/

Diese besteht aus circa 38 MitarbeiterInnen. Das ISB hat keine 
Entscheidungsbefugnisse, sondern ist beratend tätig.

Das ISB hat eine sogenannte Open Source Strategie.
http://internet.isb.admin.ch/internet/strategien/00665/01491/index.html?lang=de

Das ISB unterstützt sogenannte OSS-Tagungen, gut versteckt hier zu finden:
http://internet.isb.admin.ch/internet/informatikstandards/veranstaltungen/01968/index.html?lang=de

Ich versuche immer noch herauszufinden, wie es passieren konnte, dass 
jetzt schon entschieden wurde, praktisch ausschliesslich auf MS Windows 
Vista, MS Office 2007, und sogar auf den MS Internet Explorer und 
Aehnliches zu setzen, teilweise gegen die Empfehlung des ISB.


> Ist ein Trend absehbar, wird der Einsatz von FOSS in Zukunft zunehmen?

Er nimmt ständig zu, aber bis auf welches Niveau dürfte noch offen sein.


Theo Schmidt
Präsident Wilhelm Tux


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