[wilhelmtux-discussion] Re: freie software und copyright

Sascha Brawer brawer at dandelis.ch
Fre Mai 16 12:04:07 CEST 2003


Alex Schroeder <alex at gnu.org> schrieb:

>Eine Antwort [auf folgenden Text] kannst Du gerne auch
>an die Liste schicken...

Das mache ich gerne. Ich hoffe, es stört Dich nicht, wenn ich nachfolgend
Beispiele anführe, die zwar für Dich bestimmt kalter Kaffee, aber für
andere auf der Liste vielleicht noch neu sind.


>Ich habe auch mit meinem Kollegen Mike Widmer nochmals über Copyright
>und Freie Software diskutiert und bin übrigens weiterhin der Meinung,
>dass wir alle an weniger Copyrigh interessiert sind.  Wir verwenden
>Copyleft nur, damit die Spiesse gleich lang sind -- wir hätten aber
>nichts dagegen, wenn die Spiesse für beide Seiten gleich kurz wären.
>Prinzipiel ist die Gemeinschaft nämlich nur an einer möglichst
>grossen Public Domain interessiert.

Diese Diskussion läuft vermutlich auf folgende Frage hinaus: Erleidet die
Allgemeinheit einen grossen Schaden, wenn sich jemand freien Quellcode
aneignet? Wer diese Frage mit ja beantwortet, wird wohl einen Schutz
freier Software für notwendig erachten und entsprechend auch nicht
wollen, dass Software allzu schnell gemeinfrei wird.

Die Entwickler freier Software sind sich bekanntlich nicht einig, wie
wichtig der Schutz ihrer Arbeit ist. Die einen (GNU) betonen die
Notwendigkeit eines Schutzes vor Aneignung und sind nötigenfalls bereit,
die Freiheit der Nutzer auch gerichtlich durchzusetzen.  Die anderen
(BSD) formulieren absichtlich schwache Lizenzverträge und verzichten
damit freiwillig auf einen durchsetzbaren Schutz, unter anderem weil sie
denken, dass der Allgemeinheit auf diese Weise mehr freie Software
zukommen werde.


>Angenommen der Schutz wäre 5 Jahre -- dann könnte Microsoft natürlich
>5 Jahre alten Linux Source kopiere und bei sich einbauen.

Wenn die Lizenz dies erlaubt, dürfen Firmen auch jetzt schon freie
Software in ihre Produkte einbauen, ohne dass sie Änderungen und
Verbesserungen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen müssten. Microsoft
ist gerade ein Beispiel dafür: Der Netzwerk-Code von Windows stammt ja
aus dem BSD-Projekt, war also einmal "schutzlos frei". In diesem
konkreten Fall hat sich der fehlende Schutz kaum zum Nutzen der
Allgemeinheit ausgewirkt. Allerdings auch nicht wirklich zu ihrem
Schaden, denn der Quelltext von BSD steht uns allen nach wie vor zur
Verfügung.

Hätte die Allgemeinheit profitiert, wenn der BSD-Code für die
Internetprotokolle stärker geschützt gewesen wäre? Vermutlich hätte
Microsoft den Code in diesem Fall einfach nicht verwendet. Andererseits
gibt es schon auch Beispiele, wo die Allgemeinheit einen Nutzen aus einem
starken Schutz freier Software ziehen konnte. So gäbe es andernfalls
heute wahrscheinlich keinen freien Übersetzer für die Programmiersprache
Objective C. Die mittlerweile von Apple übernommene Firma NeXT hatte
diesen Übersetzer als Erweiterung von GCC geschrieben, ohne die Quellen
der Zusätze ihren Nutzern zugänglich zu machen. Dies änderte sich erst,
als die Free Software Foundation mit einem Gerichtsverfahren (wegen der
Verletzung des Lizenzvertrags von GCC) drohte.


>Aber wir könnten genausogut 5 Jahre alten Windows Source bei uns einbauen.

Würden wir das denn tatsächlich wollen? :-) Im Ernst: Wir hätten
natürlich schon ein Interesse an den Quelltexten von Windows. Allerdings
meiner Ansicht nach kaum, um Microsofts technische Glanzleistungen
abzukupfern oder um direkt Windows-Sourcecode bei uns einzubauen, sondern
weil unsere Systeme dann besser als jetzt mit Windows-Rechnern
kommunizieren könnten. Viele Leute wollen ja nicht mit freier Software
arbeiten, solange sie nicht problemlos mit den Formaten und Protokollen
von Microsoft zurande kommt. Wir können dieser Forderung aber nur
schlecht gerecht werden, weil wir nur beschränkt wissen, wie diese
firmeneigenen Formate aufgebaut sind.


>Und Microsoft hätte ja keinen Grund mehr, diesen zu verstecken
>-- wenn ein Mitarbeiter von M$ diesen also veröffentlicht, gäbe es nämlich
>für M$ keine Handhabe, um dies zu bestrafen.  Das heisst, wir hätten also
>immer noch einen kleinen Nachteil, und möglicherweise könnte Microsoft
>wegen "vitalen Geschäftsgeheimnissen" oder so klagen, aber abgesehen
>davon wären alle Leute besser dran.


Der Schutz von Geheimnissen hat aber nichts mit dem Urheber- oder dem
Patentrecht zu tun. In Deinem Beispiel könnte Microsoft eine Strafanzeige
gegen den Mitarbeiter einreichen: In der Schweiz macht sich nach Art. 162
StGB strafbar, wer ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis, das er
infolge einer gesetzlichen oder vertraglichen Pflicht bewahren sollte,
verrät.  Quelltexte von Computersoftware können sicherlich als Geheimnis
eingestuft werden.  Auch wenn der Mitarbeiter nicht vertraglich von
Microsoft zur Wahrung der Betriebsgeheimnisse verpflichtet worden sein
sollte, würde er sich strafbar machen, denn er ist als Arbeitnehmer
gesetzlich (nach Obligationenrecht) zur Geheimhaltung verpflichtet. 
Siehe: Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Band "Besonderer
Teil: Straftaten gegen Individualinteressen", 5. Auflage, Stämpfli, 1995,
S. 405 - 408. In diesem Kommentar zum StGB wird auch noch auf das UWG
verwiesen, wo weitere Strafbestimmungen zum Geheimnisverrat zu finden
sind. [Ich möchte übrigens darauf hinweisen, dass ich kein Jurist bin,
meine Erklärungen sind daher mit entsprechender Vorsicht zu geniessen] 

Der Schutz von Betriebsgeheimnissen ist zeitlich unbeschränkt, zumindest
solange das Geheimnis nicht allgemein bekannt ist. Nun hat die
Allgemeinheit aber wenig davon, wenn jeder eifersüchtig seine Geheimnisse
hütet. Aus diesem Grund wurde versucht, einen Anreiz zur Veröffentlichung
zu schaffen: Die Absicht beim Patentwesen ist ja gerade, dass die
Erfinder ihr Wissen nicht für sich behalten sollen, sondern öffentlich
und nachvollziehbar dokumentieren. Nach Ablauf der Schutzfrist steht das
Wissen jedem zur freien Verfügung -- was nicht der Fall wäre, hätten die
Erfinder ihr Wissen geheimgehalten. Dass das Patentwesen theoretisch eine
gute Sache ist, in der Praxis aber (jedenfalls nach Ansicht vieler)
grosse Probleme hat, zum Schaden der Allgemeinheit missbraucht wird, und
sich eher lähmend als fördernd auf die Innovation auswirkt, ist
allerdings ein anderes Thema.

Herzliche Grüsse

-- Sascha, brawer at dandelis.ch, http://www.dandelis.ch/people/brawer/