[wilhelmtux-discussion] Re: Haltung ISB

Dietrich Feist dietrich.feist at mw.iap.unibe.ch
Don Nov 7 00:10:39 CET 2002


Lieber Herr Lüthi,

ich danke Ihnen für die Nachfrage beim ISB wegen der Studie der Meta
Group. Da das Thema in der Diskussionsliste von Wilhelm Tux so heiss
diskutiert wurde, möchte ich gern die Gelegenheit nutzen, den Lesern die
Antwort des ISB und die Haltung des Vorstands von Wilhelm Tux bekannt zu
machen.

> ich habe soeben mit Willy Müller vom ISB telefoniert. Folgendes: Beim
> Meta Group Papier handelt es sich um eines von *vielen*, die sich mit
> dem Einsatz von Free- und Open Source Software (F/OSS) beschäftigen.
> Das Papier widerspiegelt in keiner Weise die endgültige Haltung des
> Bundes. Im Gegenteil: Studien, die den Einsatz von F/OSS in
> öffentlichen Verwaltungen positiv würdigen, liegen schon zu Hauf beim
> ISB. Mit dem Auftrag an die Meta Group wollte man die Meinung eines
> Analysten einholen, der nicht die Interessen von M$ oder F/OSS
> vertritt. Im Papier kommt die Haltung der Meta Group und *nicht* jene
> des ISB zum Ausdruck.

Der Vorstand von Wilhelm Tux ist keineswegs bereit, sich mit der
Erklärung von Herrn Müller so ohne weiteres zufrieden zu geben. Es gibt
nämlich eine ganze Reihe von Ungereimtheiten: wenn es, wie Herr Müller
behauptet, haufenweise Studien zu diesem Thema gibt, warum schafft es
dann nur diese eine auf die Webseite des ISB? Noch vor einem Jahr musste
das EFD eine 4 Jahre alter Gartner-Studie anführen, um auf eine Anfrage
des Nationalrats Paul Günter bzgl. der Nutzung Freier Software zu
reagieren (http://www.popnet.ch/Guenter.Zbinden/microkom.html).

Die Studie der Meta Group wurde innerhalb von 5 Tagen nach ihrem
Erscheinen auf der ISB-Webseite platziert, direkt neben so wichtigen
Dokumenten wie NOVE-IT oder der eCH-Initiative. Die anderen Studien
(soweit sie überhaupt existieren), sollen "mittelfristig" dort
erscheinen, wobei mittelfristig in der Schweiz ziemlich lang dauern
kann.

> Das einzige Problem mit diesem Papier ist die prominente
> Veröffentlichung auf isb.admin.ch. Müller hat aber gesagt, dass man
> mittelfristig ein Mini-Portal aufschalten wolle, wo die verschiedenen
> Positionspapiere zugänglich sind - und nicht nur das Geschreibsel der
> Meta Group. Zur Zeit orientiert man sich beim Bund im Zusammenhang
> mit dem Einsatz von Software an der berühmten Formel "Das
> Kosten-Nutzen-Verhältnis muss stimmen" und das kann sowohl für M$ als
> auch F/OSS zutreffen. Übrigens: Eine der Success-Stories von RedHat
> stammt von einer Stelle der Bundesverwaltung:
> http://www.redhat.successes.com/Story_381_SCMediumStoryPage.html

Die Art der Veröffentlichung ist keineswegs das einzige Problem dieser
Studie. Viel schwerwiegender ist die schlechte Qualität der Arbeit und
die teilweise grotesken Argumente und Schlussfolgerungen. Dazu hat sich
Herr Müller überhaupt nicht geäussert.

Was das Kosten/Nutzen-Argument angeht, so ist das ein absolutes
Gummi-Argument. Wenn das wirklich die Grundlage der IT-Entscheidungen
des Bundes wäre, warum laufen dann selbst Webserver für Regierung und
Parlament auf Basis von M$ IIS? Gibt es noch viele andere Möglichkeiten,
die Kosten ohne irgendwelchen zusätzlichen Nutzen in die Höhe zu
treiben? Ausserdem gibt es natürlich neben dem Kosten/Nutzen-Verhältnis
noch andere Kriterien wie Sicherheit, Datenschutz, oder die
Unabhängigkeit des Staates von den Willkür-Entscheidungen ausländischer
Unternehmen.

Die Success-Story beim IVI ist zwar lobenswert, geht aber an der Sache
vorbei. Hier wäre eine Lösung auf Windows-Basis schlicht und ergreifend
nicht möglich gewesen und eine Lösung auf Basis anderer Unix-System
deutlich teurer. Dieser Spezialfall ist kein Beweis für ein Umdenken im
ISB.

> Zusammenfassend: Der vermutete Skandal ist keiner. Eine News ist es
> leider auch nicht. Deshalb: Nichts für heise.de im Moment, ich bleibe
> aber am Ball!

Ob hier wirklich kein Skandal vorliegt, wird sich noch zeigen. In einem
Land, in dem mir von der Hauptseite des Parlaments das M$-Logo
entgegenspringt (http://www.parlament.ch -> Sprache wählen) oder sich
der oberste Informatikstratege von Bill Gates erklären lässt, was er zu
tun hat
(http://www.admin.ch/cp/d/3C60FC83.DA5C576C@gs-efd.admin.ch.html), kann
ich an viele Zufälle nicht mehr glauben. Wir bleiben in jedem Fall am
Ball.

Viele Grüsse,

Dietrich Feist
Präsident von Wilhelm Tux - Kampagne für Freie Software
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