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Dietrich Feist dietrich.feist at mw.iap.unibe.ch
Fre Jun 28 11:05:08 CEST 2002


Hallo Marco, hallo Markus

MH> Ist es nicht einfach auch so, dass Deutschland nicht unbedingt 
MH> weiter ist, sondern einfach nicht so riesige IT-Budgets wie die 
MH> Schweiz hat und das hier niemanden Interessiert, solange das Geld 
MH> fliesst (obwohl unser Steuergeld)?

Das stimmt so wirklich nicht. Deutschland ist - zusammen mit anderen
EU-Staaten - schon erheblich weiter als die Schweiz, wenn es um das
Verhältnis Staat und IT geht. Das kommt zum einen von der EU-Seite her,
wo die EU-Kommission schon seit Jahren IT-Themen wie digitale Signaturen
pusht und andererseits immer wieder selbst als mächtiger Gegner von
Microsoft auftritt. Andererseits gibt es in Deutschland eine lange
Open-Source-Tradition, die auch an staatlichen Stellen nicht
vorbeigegangen ist, was man z.B. an der Finanzierung des GnuPG-Projekts
durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sieht. Auch
was die Gesetzgebung angeht, sind die meisten EU-Staaten bei wichtigen
Themen der Schweiz schon weit voraus (PKI, Digitale Signaturen, Verbot
von Spam, Softwarepatente etc.). Man darf nicht unterschätzen, dass die
politischen Prozesse in Deutschland auf allen Ebenen mindestens 3-5 mal
so schnell ablaufen wie in der Schweiz.

Insgesamt würde ich vermuten, dass die IT-Budgets der Deutschen Behörden
(auf die Bevölkerung gerechnet) wesentlich höher sind als in der
Schweiz, weil der Staat in Deutschland viel mehr Aufgaben wahrnimmt als
hier. Man schaue sich nur mal zum Vergleich an, wieviele Computer von
der Bundestux-Initiative betroffen waren: über 5000 nur für den
Deutschen Bundestag! Ich bezweifle, dass der Nationalrat in der Schweiz,
der ca. ein Drittel so viele Mitglieder hat, über 1600 Rechner verfügt.
Soweit ich mich an meine Recherchen aus der Anfangszeit von Wilhelm Tux
richtig erinnere, ging es da lediglich um ca. 50-100 Maschinen.

Der Sparzwang ist aber in Deutschland vermutlich noch höher als hier, da
allein die Folgen der Deutschen Wiedervereinigung den Staat jährlich (!)
noch ca. 150.000.000.000 Euro kosten (zum Vergleich: direkte Zahlungen
Deutschlands an die EU ca. 19.000.000.000 Euro/Jahr). Aber auch in der
Schweiz wird der Staat ja - besonders von den rechtsbürgerlichen
Parteien her - zum Sparen verurteilt, damit deren Klientel in Zukunft
noch weniger Steuern zahlen muss (sofern sie überhaupt welche zahlt). So
werden ja z.B. im Kanton Bern zurzeit Spar-Szenarien diskutiert, die
z.B. für die Universität Bern geradezu existenzgefährdend sind. Leben
auf Kosten der nächsten Generation war in diesen Kreisen ja schon immer
beliebt. :-(

Aber, wie Markus schon sagte, wir wollen gar nicht hauptsächlich auf der
wirtschaftlichen Ebene argumentieren. auch wenn wir da durchaus gute
Argumente haben. Wir wollen, dass die Wahl der Softwareplattform als das
erkannt wird, was es ist: eine politische Entscheidung mit realen
politischen Konsequenzen für die Handlungsfähigkeit des Staates. Und
auch bei dieser Erkenntnis - ich muss mich wiederholen - ist Deutschland
der Schweiz wiederum voraus.

Viele Grüsse,

Dietrich