Re: [wilhelmtux-discussion] Ein paar Fragen zum Einsatz von Freier und OpenSource Software in öffentlichenInstitutionen und Behörden
Manfred Morgner
manfred.morgner at gmx.net
Tue Dec 12 09:13:47 CET 2006
Hallo Marc,
auch meine ist eine persönlich Einschätzung und kein offizieller WT-
Standpunkt (ich bin gar kein WT-Mitglied, nur ein Freund).
> Welche Vorteile entstehen durch den den Einsatz von OpenSource
> Software?
Man kann wählen. Es gibt für viele Aufgabenstellungen mehrere Programme.
Man kann die Software an seine Bedürfnisse anpassen bzw. anpassen
lassen.
Die Verwaltung kann eigene freie Software entwickeln und an die
Bevölkerung abgeben. Der Kanton St.Gallen (z.B.) ist hier seit Jahren
auf dem richtigen Weg bei der Bereitstellung der Software zur
Einrichtung der Steuererklärung. Diese SW ist zwar nicht OpenSource,
aber sie läuft auf Windows, Linux und MacOS. Es ist also kein Bürger
gezwungen, zum Einsatz dieser Software eine Windows-Lizenz zu
erwerben. Die Bürger können das System verwenden, dass sie auch sonst
verwenden.
Durch die Möglichkeit, am Entstehungsprozess mitzuwirken, mit den
Entwicklern in eine Dialog zu treten und ggf. selbst zielgerichtet
Ressourcen bereitzustellen, kann man die Langfristigkeit von Lösungen
sicherstellen. Beispielsweise durch offene Dokumentenformate,
zielgerichtete Flexibilität der SW, kontinuierliche
Weiterentwicklung, Abspaltung von Projekten (siehe weiter unten) und
eine Vielzahl andere Massnahme.
Die Verwaltung kann Fachpersonen heranziehen, die untersuchen, was
die SW tatsächlich macht. Beobachtung haben ergeben, dass der MS
Internet-Explorer bereits beim Starten Verbindungen zu MS-Servern
aufbaut, MS hat dafür auch harmlose Erklärungen. Welche Daten
tatsächlich übermittelt werden und was MS damit anfängt weiss niemand
ausser MS. Für Anwender ist es nicht möglich, diese unerwünschte
Kontaktaufnahme zu unterbinden, den Datenaustausch zu kontrollieren
oder auch nur zu untersuchen, welche Daten an MS gesendet werden. Bei
Freier Software hat der Anwender, besonders wenn es sich um eine
grosse Institution handelt, die Möglichkeit, alles zu untersuchen
oder untersuchen zu lassen.
Darüber hinaus gibt es ständig dutzende bis tausende Personen (je
nach Projekt), die sich mit der Analyse spezifischer Projekte
befassen, die Sicherheitsprobleme untersuchen oder die Funktionsweise
der Software als solcher. Deren Berichte werden im Internet
veröffentlicht. Das hat zwei Positive Effekte: 1) Potentielle
Anwender können sich über alle Aspekte interessierender Programm
informieren 2) Die Entwickler erhalten nützliche Informationen zu
Verbesserung ihrer SW. Das führt dazu, dass Fehler und
Sicherheitsprobleme bei Freier Software üblicher Weise schneller
behoben werden und dass das Risiko, Fehler zu übersehen bei Freier
Software geringer ist.
Freie Software kann auf einem breiten Arsenal von Hardware eingesetzt
werden. Es gibt immer auch Entwickler, die Freie Software für
leistungsschwache Systeme weiterentwickeln. So werden die Anwender
nicht gezwungen: 1) Update-Orgien mitzumachen, die mit hohen Kosten
und betrieblichen Risiken verbunden sind 2) Dafür auch noch neue
Hardware zu kaufen obwohl die existierende HW noch einwandfrei
funktioniert. Am Beispiel der grossen Projekte GNOME und KDE kann man
beobachten, dass sich die Entwickler Gedanken machen, wie sie ihre
Software so optimieren können, dass die neuen, zusätzlichen
Funktionen flexibel eingesetzt werden können und die wesentlichen
Programmfunktionen auch mit geringen HW-Ressourcen nutzbar bleiben.
In den vergangenen Jahren haben beide Projekte neue Versionen
herausgebracht, die mit geringeren Ressourcen auskommen als die
vorherigen oder auf der gleichen HW schneller waren (was eigentlich
das gleiche ist).
Freie Software kann sich entwickeln: Weil Freie Software
anwenderzentriert ist, entwickelt sie sich oft automatisch in die
richtige Richtung. Entwickler Freier Software haben andere Ziele als
die Entwickler Unfreier SW. Wenn Sie Geld damit verdienen, dass Ihre
Kunden für die Behebung Ihrer Fehler und das Nachrüsten fehlender
Funktionen zahlen, werden Sie nicht interessiert sein, fehlerfreie,
vollständige Produkte auszuliefern. Oder wie der Chef einer
Autowerkstatt schon vor 25 Jahren zu mir sagte: "Was lange hält,
bringt und kein Geld." Hersteller Unfreier SW gehen sogar soweit,
ihre Kunden zu bedrohen, indem sie die Wartung für ältere
Softwareversionen einstellen um die Kunden zu zwingen neue Versionen
zu lizenzieren und dafür neue Hardware zu kaufen. Entwickler Freier
Software verfolgen andere Ziele. Sie möchten, dass ihre Software
Anwender findet, dass mit Ihrer SW reale Aufgaben gelöst werden, dass
sie selbst bei der Bewältigung ihrer eigenen Aufgaben Zeit einsparen,
dass ihre SW funktioniert und macht was sie soll. Es gibt Projekte,
die seit Jahre nicht mehr weiter entwickelt werden weil sie ihr Ziel
bereits erreicht haben oder einfach den Anforderungen genügen. Solche
SW kann heute noch einsetzen weil sie funktioniert und niemand hat
die Wartung dafür eingestellt, weil man jederzeit jemanden
beauftragen kann, daran etwas zu ändern, zu erweitern, zu verbessern,
was immer man will.
Zur Entwicklung gehört auch das berüchtigte Forken von Projekten. Von
den Produzenten Unfreier SW bisher nicht verstanden, ist dies eine
wesentliche Grösse bei der Entwicklung von Software. In bestimmten
Phasen der Projektentwicklung ist ein Aufspalten des Projektteams so
lebenswichtig wie die Geburt eines Kindes für die Erhaltung der Art.
Vor relativ kurzer Zeit hat sich das X11-Projekt gespalten. Wegen
Unstimmigkeiten im Projektteam. Wenn solche Unstimmigkeiten in einer
Firma auftreten, die Unfreie Software herstellt, muss eine Partei
(meist die Mitarbeiter - also die Leistungsträger) gehen und das
Produkt ist dem Risiko ausgesetzt, zu verschwinden oder in seiner
Entwicklung zu stagnieren (darunter leiden die Anwender extrem!).
Beim X11-Projekt ist genau das Gegenteil passiert. Da bei Freier
Software jede natürliche und juristische Person ein Projekt kopieren
und nach belieben weiterentwickeln kann, arbeiten seit dem Fork
_beide_ Parteien an der Weiterentwicklung der SW weiter, nur mit
unterschiedlichen Zielen. Das hatte zur Folge, dass das aus X11R6
hervorgegangene Xorg-Projekt seit der Abspaltung gewaltige
Fortschritte auf allen Gebieten gemacht hat. So ist Xorg inzwischen
voll modular. Das heisst, man kann es einfach auf die
Leistungsfähigkeit seiner Hardware abstimmen, indem man bestimmte
Funktionen lädt oder eben weglässt, ohne, dass ein Entwickler irgend
etwas tun müsste. Das ist aber nur einer der grossen Sprünge, den
dieses Projekt nach dem Fork gemacht hat.
Die Anwender - in Ihrem Fall die Verwaltungen - profitieren von
diesen Vorteilen durch mehr Flexibilität, Höhere Datensicherheit,
Sicherstellung der Austauschbarkeit von Daten, Nachhaltigkeit, Non-
Nonsense-Produktentwicklungen, die Möglichkeit direkt Einfluss auf
die SW-Entwicklng zu nehmen, die Möglichkeit, individuelle
Anpassungen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen,
Nicht zuletzt: Beim Einsatz Freie Software kann man auf den
Lizenzmanager verzichten.
> Wo sehen sie die grössten Hindernisse für den Einsatz von OpenSource
> Software in öffentlichen Institutionen und Behörden?
Freie Software hat keine Lobby. Während SW Konzerne Milliardenbeträge
für Werbung ausgeben, ist dieses Modell für Freie Software
anachronistisch und auch aus anderen Gründen (z.b. finanziell)
unmöglich. Werbung bewirbt einzelne Produkte - sie versucht, eine
Bindung des Kunden an ein Produkt zu erreichen. Freie Software ist
das Gegenteil! Freie Software ist Frei, die Anwender haben die Freie
Wahl. Es ist das Wesen der Freien Software, die gleiche Sache auf
verschiedenen Wegen zu erreichen. Darum ist es widersinnig, im
Zusammenhang mit freier SW spezifische Produkte zu bewerben.
Das führt allerdings dazu, dass Freie Software in der Wahrnehmung der
Entscheidungsträger zu kurz kommt. Es ist verständlich, dass sich ein
Stadtrat für Kultur nicht mit Freier Software auseinandersetzen will.
Interessanter Weise will er aber mit MS Word arbeiten, was wiederum
unverständlich ist, denn auch davon hat er keine Ahnung. Das ist ein
Erfolg der Werbung und der Lobbyarbeit von MS.
Besser wäre es, die Entscheidung den Fachpersonen zu überlassen und
diesen Richtlinien zu geben, wie dies in verschiedenen Ländern
bereits geschehen ist. In Frankreich bspw. müssen öffentliche
Einrichtungen belegen, wieso sie für einen bestimmten Zweck keine
Freie Software einsetzen können. in Peru muss Software, die in der
Verwaltung eingesetzt wird, quelloffen sein.
> Welche Aktionen werden unternommen um die Verbreitung von FOSS zu
> fördern?
Es gibt Messen und andere Veranstaltungen von der Free-Software-
Foundation und von Firmen, die von Freier Software leben. Das sind
meistens Beratungsfirmen und Dienstleister. Es gibt auch spezielle
Messen und Foren für 'Freie Software in der Verwaltung', ich habe
mich mit diesen Veranstaltungen aber nie wirklich befasst. Google
weiss sicher mehr.
> Hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren die (politische)
> Wahrnehmung von OpenSource Software verändert? Wenn ja inwiefern?
In der Schweiz kaum, in anderen Ländern definitiv.
> Welche Vorurteile oder Missverständnisse bestehen?
siehe erster Abschnitt (tut mir leid, ist etwas lang geworden)
> Welche politischen Gruppierungen oder Parteien engagieren sich für den
> Einsatz von OpenSource Software?
Mir unbekannt. Nach meiner Wahrnehmung: keine. Die Interessen dort
sind anderer Natur.
> Wissen Sie in welchen Kantonen bereits FOSS eingesetzt wird, oder
> zumindest entsprechende Pläne existieren?
Nein - weiss ich nicht. Habe von verschiedenen gehört, kann aber
keine Auskunft geben.
> Wie sieht es auf Bundesebene aus?
Auch unbekannt. Mir ist nur bekannt, dass der Bund MS-abhängig ist
(Datenformate, Applikationen, Systemlandschaft). Aber auch das ist
ein völlig individueller Eindruck auf der Basis verschiedener
Beobachtungen.
> Ist ein Trend absehbar, wird der Einsatz von FOSS in Zukunft zunehmen?
Nein. Es ist kein Trend absehbar. Die Schweiz wird das machen, was
die EU macht. MS investiert Millarden USD um die EU bei der Stange zu
halten. Verschiedene Behörden und Länder der EU migrieren inzwischen
auf Freie Software. Für den Fall, dass sich Freie Software in der
Verwaltung der EU und deren wichtigsten Ländern (FR,DE) durchsetzt,
kann man erwarten, dass die Schweiz nachzieht.
> Besten Dank, mit freundlichem Gruss
>
> Marc Tanner
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