Re: [wilhelmtux-discussion] Microsoft hilft Lehrern auf die Sprünge
Manfred Morgner
manfred.morgner at gmx.net
Thu Apr 27 00:01:14 CEST 2006
Hallo Andreas,
Am 25.04.2006 um 23:55 schrieb Andreas Ratchev:
> Wenn du soviel darüber weisst, warum Quasi-Monopolisten soviel Müll
> produzieren, kannst du mir dann sagen warum MS in IE7 Tabbed Browsing
> einführen will? Oder diese kleinen Widgets/Desklets, die eh aus OS X
> geklaut wurden? Solche Dinge würden den Verstand eines nicht-technisch
> engagierten Menschen übersteigen, nicht?
Ich weiss natürlich nicht, wieso MS 'tabbed browsing' einführt, aber
ich kann es mir für mich erklären.
Firebird, Firefox, oder wie immer der kleine Mozilla heisst, hat es
geschafft, einen zweistellingen 'Markt'-Anteil zu entwickeln. Das
führt natürlich zu Fragen (Panik?). Anteile verlieren ist etwas ganz
ganz schlimmes, besonders für Firmen mit stark ausgeprägtem
hegemonistischen Wesen. Es ist eine Entwürdigung usw. Also was tun?
Man stellt eine Untersuchung an, wie soetwas passieren kann. Das
Ergebnis:
1) Höhere Sicherheit
2) Tabbed Browsing
Da Microsoft objektiv keine Chance hat, Windows sicher zu machen,
nicht einmal eine Chance, den IE sicher zu machen, bleiben zwei Dinge
zu tun:
1) Man verspricht eine Erhöhung der Sicherheit
2) Man programmiert 'tabbed browsing'.
Damit hat man alles getan, was bei Microsoft möglich ist, um IE-
Nutzer nicht zu Firefox abwandern zu lassen und ggf. bequeme Nutzer
wieder 'heim' zu führen. Das ist eine Image-Frage und damit
knallhartes Geschäft.
Mit den Widgets à la MacOS ist es ebenso. Obwohl diese Dinger
vermutlich keinen wirklichen Nutzwert haben, werden sie - besonders
von der jungen Käuferschicht - als 'very cool' empfunden und sind
demzufolge markttechnisch 'very important'. Dass der normale Nutzer
damit überfordert ist, spielt dabei keine Rolle, der ist es bei MacOS
oder Linux (Superkaramba?) auch. Aber diejenigen, die ihre Coolheit
darüber definieren, 'es' zu haben, werden natürlich unterstützt - es
geht schliesslich um Marktdominanz.
Der normale User ist schon komplett überfordert, wenn er mit Word
einen Brief schreiben soll. Das ist aber nicht so schlimm, denn
1) Meistens kriegt er es doch irgendwie hin
2) Eine lange Featureliste und lustige Bildchen beeindrucken immer
und überall
Der User weiss also, dass er mit diesem Programm Grosses leisten
könne würde, wenn er sich damit ausreichend beschäftigen täte, was er
willens wäre auf sich zu nehmen wenn es denn erforderlich wäre. Er
fühlt sich also abgesichert und er weiss noch etwas anderes - wenn er
eine Frage hätte, die für ihn wichtig wäre, könnte er sicher einen
Freund auftreiben, den er befragen könnte. Das ist schon die doppelte
Sicherheit. Ausserdem hat er das Gefühl, dass er beim Hersteller
Support bekäme - jedenfalls bis er das erste mal dort angerufen hat -
was die meisten nicht machen, weil sie im Problemfall das Gefühl
haben, zu dumm zu sein und sich mit blöden Fragen zu blamieren. Ich
kenne einen Menschen, der zur Benutzung von Word den MS-Support
bemüht hat. Jener hat mir ausführlich berichtet. Das war sehr
interessant.
Der Support konnte das Problem zwar nicht lösen, aber bestätigen dass
es existiert und auch bestätigen, dass dieses Problem in den
vorhergehenden Versionen auch bisweilen aufgetreten war. Er konnte
nicht sagen ob, geschweige denn wann, dieses Problem behoben wird.
Aber - und das ist der Knaller - der gute Mann an der MS-Hotline hat
meinem Bekannten folgendes Duell geliefert:
"Wenn sie mir in keiner Weise helfen können, wieso sollte ich dann
Ihr Produkt benutzen? Ich könnte doch ebenso OpenOffice benutzen, da
bekomme ich auch keinen Support, aber wenn ich einen Fehler melde
interessiert sich jemand dafür und vielleicht wird der Fehler sogar
behoben. Damit wäre ich doch mindestens so gut dran wie mit MS-Word,
nur dass mich OO nichts kostet. - Natürlich können sie auch OO
verwenden dass steht ausser Zweifel. Wenn Sie mit MS-Word nicht
zurecht kommen weil es Ihren Anforderungen nicht genügt, ist dieser
Wunsch verständlich. Aber genau das Problem, um das wir hier
diskutieren, hat OO auch. Wenn Sie sich davon überzeugen wollen,
probieren Sie es einfach aus."
Das finde ich heute noch grosse Klasse. Das ist Extraklasse! Wenn ich
mir überlege, was dazu gehört, einen einfachen Suppportmitarbeiter,
der keine Ahnung von seinem Produkt hat, dazu zu bringen, so clever
und zielsicher zu argumentieren, bin ich echt beeindruckt von MS -
ohne jede Häme, ganz ehrlich und aufrichtig beeindruckt. _Wie_ genial
diese Antwort ist, ist mir erst im Verlauf mehrerer Tage bewusst
geworden.
Dass der Supporter keine Ahnung von seinem Produkt hatte, konnte mein
hochmotivierter, talentierter und technisch interessierter Freund ein
paar Tage später beweisen, indem er das Problem selbst löste, weil er
eben ein elender Friemler und Frickler ist und ihm die Sache keine
Ruhe gegeben hatte.
Und noch etwas finde ich eine geniale Leistung von Microsoft. Wenn
mich meine Gespräche mit Mitmenschen unvermittelt und unerwartet auf
das Thema OOo führen, kommt automatisch - ein Reflex der Bewohner des
Abendlandes - die Frage "Ist OOo denn Word-kompatibel?" Grosse Klasse
diese Frage. Eine erstklassische Leistung der Microsoft-Demagogie.
Ehre wem Ehre gebührt!
Um zum Ursprung zurück zu kommen. Gegen eine Maschinerie, die all das
fertig bringt, die den reinsten Schwachsinn zum manifestierten
Halbwissen der unbedarften User macht - pränatal natürlich - können
wir gar nichts und absolut nicht aktiv unternehmen. Wenn wir reaktiv
gegenhalten wollten, wie Du es ursprünglich vorgeschlagen hast (oder
auch proaktiv), müssten wir ebenso ethisch verwerflich und moralisch
verkommen agieren wie diese Leute. Wir müssten das, wofür Freie
Software steht, verraten um Freier Software zum Durchbruch zu verhelfen?
Natürlich, die Freiheit, mit einer Software alles machen zu dürfe und
sie für jeden Zeck unbegrenzt einzusetzen eröffnet auch die
Möglichkeit damit jede erdenkliche Niedertracht zu begehen. Wenn ich
das neben meinen Fachkenntnissen auch noch könnte, wenn ich in der
Lage wäre, meine ethischen Postulate über den Haufen zu werfen - tja
(?) - würde ich mich dann noch für Freie Software engagieren?
Viele Grüsse,
Manfred.
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