[wilhelmtux-discussion] PDF [war: Re: Lokale Anliegenfürfreie Software?]

Theo Schmidt tschmidt at mus.ch
Thu Nov 20 10:28:24 CET 2003


At 16:46 Uhr +0100 19.11.2003, Sascha Brawer wrote:
>...Hm, es würde mich interessieren, warum Du PDF als "strenggenommen nicht
>frei" einstufst; die Spezifikation ist schliesslich offengelegt [1]. Wer
>will, darf ein Programm schreiben, das PDF darstellt oder erzeugt.

Es gibt ja verschiedene PDF-Komponenten und -Techniken. Ich bin 
gerade daran, Eine CD-ROM mit einem Zeitschriften-Archiv zu erstellen 
und befasse mich mit der Materie. "Einfaches" PDF können viele Reader 
darstellen, also nicht nur der Acrobat Reader in vielen Versionen, 
sondern auch ghostview-Varianten, gv, xpdf, etc. Einige dieser haben 
auch eine Such-Funktion ("Find") innerhalb des geöffneten Dokumentes, 
nämlich alle neueren Acrobat Readers und xpdf. Die Acrobat Readers 
können auch "Thumbnails" darstellen, diejenigen für Linux sogar wenn 
diese nicht im Dokument gespeichert wurden, und ausserdem "Bookmarks" 
= Inhaltverzeichnis mit Links.

Soviel ich weiss, ist eine Navigation mit Bookmarks somit nur den 
Acrobat Readers vorbehalten. Schlimmer ist jedoch die neue 
Index-Technik von Acrobat (="Search"). Das ist eine Such-Funktion 
über einen ganzen Ordner (oder z.B. einer CD) mit PDF-Dateien. Das 
geht jedoch nur bei den Acrobat Readers für Windows und für neuere 
MacOS-Systeme. Diese Funktion geht bei keinem Reader für Linux und 
bei keinem Acrobat Reader für Mac kleiner/gleich Version 4.0. Mit 
einem Mac mit System kleiner System 8.6 kann diese Funktion also wie 
bei Linux nicht benutzt werden. Acrobat Reader 6.0 für Windows 
verlangt übrigens zwingend die Installation des Microsoft Internet 
Explorers; das ist unschön und eigentlich "prozessverdächtig", sofern 
es sich nicht einfach um ein Versehen handelt.

Als "Schlecht-Beispiel" hatte ich eine CD-ROM der Bundeskanzlei mit 
vielen oder allen Artikeln des Schweizerischen Rechts drauf (schon 
ein paar Jahre alt). Es sind sehr viele PDF-Dateien drauf, deren Name 
nichts mit dem Inhalt zu tun hat. Man kann also nur auf gut Glück 
finden, was man sucht, ausser man braucht den Master-Index, der mit 
der Acrobat "Search"-Technik funktioniert und somit auf Linux und 
vielen Macs gar nicht funktioniert. Die CD ist also für viele Leute 
absolut nutzlos. Ob es heute besser ist, weiss ich nicht.

Wir haben für unser CD-ROM-Projekt allerdings auch keine bessere 
Lösung gefunden. Eine (freie) htdig-Lösung würde die Installation 
eines Servers bedingen und niemand im Projekt kann oder will sich mit 
htdig herumschlagen. Wir haben nun als Kompromiss aussagekräftige 
Dateinamen gewählt und einen manuellen Gesamtindex geschrieben.

Diese Diskussion ist auch interessant für Historiker. Wenn man in 100 
Jahre eine CD-ROM mit PDF-Dateien lesen will, wird das nur gehen wenn 
freie und populäre Formate überlebt haben. Die Medien-Industrie will 
aber genau das Gegenteil, nämlich Medien, die nur der Käufer eine 
Zeit lang anschauen kann. Kopiergeschützte, Betrachtungsgeschützte 
(CSS) und selbstzerstörende DVDs sind ja schon Realität.

Wenn die Menschheit sich auf solche Techniken im grossen Stil 
einlässt, verliert sie ihr kollektives Gedächtnis, wird also senil 
und "stirbt" irgendwann, auch wenn die Art als solches überlebt. 
Etwas überspitzt ist also die Wahl von offenen und freien Standards 
nichts weniger als die mögliche Rettung der Zivilisation vor ihrem 
Untergang, denn der Hauptunterschied vom zivilisierten Mensch zum 
Tier ist sein langes, auf Medien gespeicherten kollektives Gedächtnis.

Theo Schmidt



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