[wilhelmtux-discussion] eCH: Kurzbericht Statutenworkshop
Manfred Morgner
manfred.morgner at gmx.net
Die Sep 10 01:45:43 CEST 2002
Hallo Dietrich,
stimmt schon, ich habe mich etwas zu sehr erregt. Aber Du kannst mir glauben,
40+ h pro Woche, dass kann ich ohne Probleme. Jedoch ich glaube eben nicht,
dass eCH in einem Jahr noch existiert und/oder noch über genug Kapital
verfügt um diese Stelle zu finanzieren.
Aber im Ernst.
Bei der Lektüre der beiden Antworten ist vor mir eine Art Warnschild
aufgegangen. darauf stand: OMG
Die OMG ist das beste Beispiel, wie ernome Summen genau an den von mir
beschriebenen Problemen verpuffen. Inzwischen ist die OMG tot, aber niemand
gibt das zu. Selbst die Sponsoren, zu denen auch Schweizer Banken und
Versicherungen gehören, wollen nicht zugeben, dass die OMG ihre
Existenzberechtigung verloren hat. Auf einigen offiziellen Schriften kann man
zwar erkennen, dass dem so ist, aber bis heute zahlen die Mitglieder und
zahlen und zahlen.... Kennt noch jemand von den jungen Leuten CORBA? und gibt
es irgend eine standardkonforme Implementation? Einige Mitglieder zahlen ihre
Beiträge, obwohl sie CORBA und andere Wunder schon lang nicht mehr einsetzen
und auch niemals einsetzen werden. Die OMG vergibt Logos an Software, die die
Standrads nicht abdeckt um überhaupt Logos zu vergeben.
Die Entstehung des W3C und vergleichbarer Einrichtungen unterscheidet sich
auch massiv von der Entstehung von eCH. Es ist auch nicht so, dass es nicht
dutzende konkurrierende Organisationen gegeben hätte, nur von denen weiss
heute beim besten Willen niemand mehr irgen etwas
Zur Frage des Juristen möchte ich auch noch etwas beitragen. Eine Gruppe, die
lediglich Empfehlungen ausstellt, braucht sicher nicht mehr Angst vor solchen
Leuten zu haben wie Menschen, die sich an Mailinglisten beteiligen. Und
ehrlich gesagt - ich habe keinen Anwalt angestellt, der meine Rechte
verteidigt für den Falll... usw.
Ich arbeite derzeit in einem Bereich, den man aus technischer Sicht als
eBusiness bezeichnen könnte. Es geht um den Austausch von Daten zwischen
Geschäftspartnern. Früher habe ich in anderen Geschäftsfeldern gearbeitet,
aber letztlich waren die Dateiformate und Schnittstellen immer das
Hauptproblem beim Zusammenstellen und Integrieren von Komponenten. Die
Gründe, derentwegen sinnvolle Dateiformate und Abläufe abgelehnt werden, sind
haarsträubend, aber des Kunden Wille ist des Technikers Himmelreich. Es gibt
zwei Gründe, warum das Vorhaben eCH nicht erfolgreich sein kann.
(1) Firmen, die auf diesem Gebiet tätig sind, arbeiten mit aller Macht dagegen
Ihr könnt die Softwarefirmen beobachten, die in der OMG sind. _Keine_ bietet
eine standardkonforme Software, aber _alle_ bieten proprietäre Erweiterungen
um der Konkurrenz ein Schippchen zu schlagen.
(2) Die Anwender sind unqualifiziert und darum von den o.g. Herstellern
abhängig.
Hier haben wir das gleiche Gebilde, dass auch verhindert, dass Firmen zügig
auf Linux umsteigen, auch wenn sie es im Grunde wollen. Die Firmen bezahlen
lieber für eine mässigen Windows-Pfleger als für einen qualifizierten
Linux-Fachmann, obwohl viele bereits überzeugt sind, dass sie damit letztlich
besser dran wären. Sie tun's nicht, weil es niemand verantworten will. Das
sind Entscheidungen, die mehr erfordern, als die Einsicht. Wenn einen Frima
untergeht, weil sie nicht konkurrenzfähig ist, weil sie nicht rechtzeitig auf
freie Software umgestiegen ist, wird man sicher keinen Schuldigen finden.
Wenn eine Firma Probleme bekommt, weil der Wechsel nicht 100% planmässig
verläuft, ist sofort klar, wer fliegt. "Es ist noch niemand entlassen worden,
weil er IBM gekauft hat." ist ein Spruch, der in unseren Kreisen diese
Sachlage darstellt.
Hier fehlt es einfach an den entsprechendnen Business-Cases. Die gesamte
Informatikindustrie ist mit traditionellen Mitteln nicht beschreibbar. Man
braucht Fachleute im Businessmanagement, aber die Fachleute wollen dort nicht
arbeiten. Besonders clevere Firmen (MS, SAP und andere) wissen das
auszunutzen und saugen ihren Kunden das letzte Blut aus den Adern. Sie können
das, weil es eben genau keine einheitlichen Dateiformate, Schnittstellen und
Prozesse gibt. Diese Möglichkeit sollen all die Firmen, die davon
profitieren, aus der Hand geben? Freiwillig? Sie sollen sich freiwillig in
einen Wettbewerb stellen, den sie mit der Inkompatibilität ihrer Produkte
nach dem Hase-Igel-Prinzip gewinnen?
Meiner Meinung nach muss der Ansatz ein ganz anderer sein. Wenn wir um die
_Realität_ ringen, sollten die Verwaltungen IBM-Soft- und Hardware einsetzen,
denn IBM ist eine konstante Grösse und offeriert Workflow-Management Tools.
Wenn wir über einheitliche Formate und Prozesse sprechen, sollte man sich eCH
sparen und KnowHow in die Verwaltung bringen. Dieser Vorgang ist sicherlich
nicht einfach und die Widerstände werden enorm sein. Aber durch vernünftige
Angebote kann man die Leute vielleicht überzeugen.
Daraus ergibt sich, dass es das beste wäre, eine Firma zu gründen, die freie
Produkte herstellt, mit denen man die Verwaltungen begeistern kann. Und in
die Statuten dieser Firma schreibt man, dass sie alle Software-, Format- und
Schnittstellendokumente unter GPL und GNU Free Documentation License zu
stellen hat.
Auf diese Weise hätte man die Möglichkeit auf eine wirtschaftliche (also
nicht nur Geld verbrauchende) Tätigkeit und auch auf Erfolg. Wer sollte denn
die von eCH aufgestellten Standards in die Praxis umsetzen? Die Firmen, die
davon leben dass es keine Standards gibt?
Ich bin jetzt schon fast 20 Jahre in diesem Geschäft tätig. Und anfangs
dachte ich so wie die Leute von eCH. Inzwischen habe ich allerdings die
Zusammenhänge verstanden. Warum schlechte Software mehr Erfolg hat als gute
Software, warum Anwender lieber unsicher als diszipliniert arbeiten, wieso
man Datensicherungen erst anlegt, nachdem man alle Daten verloren hat, wieso
Bürokräfte Linux ablehnen ohen es gesehen zu haben, wieso Entwickler "active
content" auf ihren Windows-Entwicklungsmaschinen erlauben usw.
Darum ist meine Meinung zu eCH auch ziemlich stabil. Und wenn nochdazu eCH
nicht von den späteren Anwendern finanziert wird, die sich das Ergebnis
wünschen und regelmässig kontrollieren weil sie es bezahlen, sieht es eher
düster aus. Denn was sollte die Anwender verleiten die Ergebnisse zu nutzen,
wenn sie sie nicht bezahlt haben? Da gehen noch ganz andere Projekte den Bach
hinunter, in die die Nutzern einen Haufen Geld gesteckt haben.
Der Ansatz für eCH ist ehrenwert, ohne jeden Zweifel. Vielleicht ist meine
Kritik ohne den Hindergrund zu erwähnen auch zu harsch und vielleicht braucht
es immer wieder junge Leute, die an das Gute glauben und immer wieder die
gleichen Fehler machen, bis es irgendwann klappt. Es tut mir nur einfach
leid, wie so viele Menschen Zeit und Geld in eine so aussichtslose Sache
stecken.
Es ist sicher eine gute Idee, einen Prozess zu definieren, der 26
Steuersysteme abdeckt, aber welchen Vorteil hat jeder einzelne Kanton davon,
einen Prozess zu verwenden, der weitere 25 Modelle abdeckt, wenn es ihn daran
hindert, Änderungen am eigenen Prozess vorzunehmen?
Gruss,
Manfred.