[wilhelmtux-discussion] Positionspapier zum Einsatz von Linux und OpenSource

Alex Schroeder alex at gnu.org
Mon Nov 4 01:59:15 CET 2002


Sehr geehrte Herren,

Wir haben ihr "Positionspapier zum Einsatz von Linux und
OpenSource"[1] gelesen und erlauben uns, Ihnen etwas Feedback zukommen
zu lassen.  Auf der entsprechenden Seite des ISB [2] sagen Sie, dass
das Positionspapier Entscheidungsgrundlagen zum Einsatz von Linux und
OpenSource-Produkten in verschiedenen Bereichen der Informatik
liefert.  Da wir vom Verein WilhelmTux [3] uns zum Ziel gesetzt haben,
den Einsatz von Freier Software in der Schweiz zu fördern,
insbesondere in öffentlichen Institutionen und Behörden, interessiert
uns ihr Positionspapier natürlich.

Uns stören an diesem Positionspapier die fehlenden Quellennachweise,
fehlende Angaben zu den Autoren, sowie fehlende Erläuterung des Mess-
oder Bewertungsmodelles.  Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Obwohl
Firmen wie IBM sicherlich gute Gründe dafür nennen könnten, warum
Linux auf grossen Rechnern installiert werden sollte -- in der
Einleitung spricht die META Group von "High-End Servern" -- finden wir
weder die Argumente für eine solche Lösung, noch finden wir eine
Begründung warum die Plattformkosten nicht "zielführend" sind.  Dabei
ist doch jedem IT Verantwortlichen klar, dass die reinen
Hardwarekosten nicht ausschlaggebend sind.  Es spielen Administration,
Sicherheit, Stabilität, durchschnittliche Dauer des
unterbrechungsfreien Betriebes, Lizenzen und viele weitere Faktoren
eine Rolle, um die so zentralen Werte wie Total Cost of Ownership
(TCO) oder Return On Investment (ROI) zu bestimmen.  Die META Group
hält es allerdings nicht für nötig, auf diese essenziellen Fakten
einzugehen; selbst auf Seite 8 wird nur eine stark vereinfachte
Übersicht geboten.  Dieses Positionspapier kann nicht als
Entscheidungsgrundlage verwendet werden, wenn die Entscheide nicht
nachvollziehbar sind.

Desweiteren stören uns an diesem Positionspapier die unsorgfältigen
Formulierungen.  Dieses Positionspapier soll eine
Entscheidungsgrundlage sein, doch wichtige Tabellen, beispielsweise
schon die erste Abbildung, sind auf Englisch.  Zudem werden die Daten
in keiner Weise erläutert: Was bedeutet die Note 2?  Was bedeutet
"Market Momentum"?  Leider erstreckt sich die unsorgfältige
Formulierung auch auf den Text.  Schon in der Einleitung wird davon
gesprochen, dass Linux auf High-End Servern "aus Gesichtspunkten der
Plattformkosten wenig zielführend" sei.  Was sind diese
Gesichtspunkte?  Gibt es mehrere?  Was sind die Plattformkosten?  Oder
auf der nächsten Seite: Linux und Microsoft Windows seien in gewissen
Bereichen "gleicht [sic!] schlecht aufgestellt."  Was bedeutet das?
Dieses Positionspapier macht keinen seriösen Eindruck.

Schlussendlich stört uns an diesem Positionspapier die mangelhafte
Stringenz.  Beispielsweise heisst es auf Seite 5, dass Market Momentum
"ein Garant für den weiteren Markterfolg und damit das Überleben
dieses Betriebssystems darstellt."  Doch was bedeutet das?  Bedeutet
es, dass alle Investitionen im Umfeld der anderen Betriebssysteme
langfristig in den Sand gesetzt sind?  Was für Kosten kommen auf uns
zu, wenn ein Betriebssystem nicht überlebt -- wer kann da die Wartung
wahrnehmen?  Und zu welchem Preis?  Wieviel kostet eine Migration?
Das Positionspapier erwähnt zwar einzelne Punkte, die auch uns
interessant erscheinen, macht sich aber nicht die Mühe, die sich
daraus ergebenden Folgen im Detail zu analysieren.

Leider könnte man für diese Kritikpunkte zahlreiche Beispiele
aufführen:  Warum schneidet Linux um Client/Server Applikationsumfeld
schlecht ab?  Was ist das Client/Server Applikationsumfeld überhaupt?
Warum ist im Datenbank Umfeld die "Verfügbarkeit" für Linux schlecht?
Was ist Verfügbarkeit überhaupt?  Anzahl Datenbanken?  Anzahl
Best-Of-Breed Datenbanken?  Features der Best-Of-Breed Datenbank?
Mean Time Between Failure (MTBF)?  Auf Seite 9 werden zwar kurz
Clusterung und Multi-Prozessor Maschinen angesprochen, doch wird auch
hier nicht klar, ob diese Unterschiede auch tatsächlich relevant sind.
Wieviele bestehenden Datenbanken benötigen denn Clustering oder
Multi-Prozessor Maschinen?  Wie steht es um Clustering und
Multi-Prozessor Maschinen im Datenbankbereich bei Windows?  Weiter:
Warum schliesst Linux auf der Applikationsschicht schlecht ab -- wurde
hier die Anzahl Applikationsserver beurteilt?  Oder erfolgreiche
Projekte?  Oder Entwicklungsumgebungen?  Welche Produkte wurden
berücksichtigt?  Diese Liste wäre interessant!  Als Leser will man ja
die Annahmen, welche dem Positionspapier zugrunde liegen, überprüfen
können.  Leider ist man hier auf Gedeih und Verderb den englischen
Tabellen ausgeliefert, welche Noten auf einer unbekannten Skala, nach
unbekannten Kriterien, auf undefinierte Begriffe verteilen.

Aber das ist noch nicht alles:  Uns stören auch einige der gemachten
Annahmen selber, sofern sie aufgeführt werden.  Schauen wir uns Seite
7 an:  Warum ist die Unterstützung von ISVs ein relevantes Kriterium,
wenn auf Linux ja insbesondere viel Freie Software eingesetzt wird,
die eben nicht von Verkäufern verkauft wird, sondern von unzähligen
privaten und wirtschaftlichen Benutzern weiterentwickelt wird?  Wie
wurden die Applikationen gezählt, von denen unter Windows mehr
entwickelt werden?  Vielleicht werden diese entwickelt, weil es
unüblich ist, eine bestehende Lösung weiter zu entwickeln und an die
eigenen Bedürfnisse anzupassen, so wie das bei Freier Software üblich
ist?  Vielleicht gibt es extrem viele triviale Software für Windows?
Um ein relevantes Beispiel aufzugreifen:  Wieviele Office Suiten
ausser Microsoft Office gibt es für Windows sonst noch?  Welcher der
diversen Office Suiten für Linux wurden dem gegenüber untersucht?

Sie sehen, wir sind erst auf Seite 7 und schon gibt es so viele
Kritikpunkte an diesem Positionspapier, dass eine weitere Diskussion
kaum noch sinnvoll erscheint.  Falls es Sie interessiert, sind wir
gerne bereit, uns mit den Verantwortlichen auf der Seite des ISB zu
einem Gespräch zusammenzusetzen.  Wir hoffen natürlich, dass dieses
Positionspapier nicht als Entscheidungsgrundlage zum Einsatz von
Linux und OpenSource-Produkten eingesetzt wird.

Mit freundlichen Grüssen,
Alexander Schröder,

Mitglied bei Wilhelm Tux, ehemaliger Dozent an der Fachhochschule
Zentralschweiz zum Thema Oracle Database Tuning, System Engineer im
Bereich 3-Schichten Architekturen und Projektleiter im Bereich
traditionelle Client/Server Architekturen, Mitentwickler von Freier
Software.

Fussnoten:

[1] http://www.isb.admin.ch/dok/dokumente/opensource/
    metagroup-linux-w2000_2002-10-17.pdf
[2] http://www.isb.admin.ch/dok/opensource.htm
[3] http://www.wilhelmtux.ch/