[wilhelmtux-discussion] heise online: Am Nutzer vorbei programmiert

ribnitz at linuxbourg.ch ribnitz at linuxbourg.ch
Mon Dez 9 15:34:23 CET 2002


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Am Nutzer vorbei programmiert



 Computernutzer wollen keinen Stress vor dem Bildschirm. Doch wenn die
Tabellenkalkulation die Werte partout nicht wie gewünscht berechnet, die
Textverarbeitung den Seitenumbruch scheinbar willkürlich setzt oder das
Programm für die Steuererklärung einfach die Eingabe verweigert, sind viele
von ihnen schnell mit den Nerven am Ende. Oft sind es nicht mal Fehler im
Programm, die Anwender an den Rand des Wahnsinns treiben. Häufig ist nur
die Bedienung zu kompliziert oder die Hilfe-Funktion nicht erschließbar --
Folgen davon, dass bei der Programmierung zu wenig auf die
Gebrauchstauglichkeit für Endanwender geachtet wurde.	   

 Bei der so genannten Usability haben Softwarefirmen nach Einschätzung von
Experten noch jede Menge Nachholbedarf. "Aus ergonomischer Sicht ist die
Welt ein Jammertal", sagt Hans Günter Siebert, verantwortlich für den
Bereich Usability bei der TÜV Informationstechnik GmbH (TÜV IT[1]) in
Essen. Das Unternehmen analysiert für Softwarehersteller und -kunden
Programme anhand internationaler Normen auf ihre Gebrauchstauglichkeit im
Alltag. Viele Programme orientierten sich zu wenig am Endverbraucher, ist
Sieberts Erfahrung. Entscheidend sei für die Hersteller häufig nur, ob
Programme überhaupt bestimmte Funktionen erfüllen. Wie diese vom Anwender
auszuführen sind, spiele häufig eine untergeordnete Rolle.

 So stellte sich Siebert zufolge etwa bei der Analyse eines
Textverarbeitungsprogramms heraus, dass Anwender nicht in der Lage waren,
ohne aufwendige Einweisung die Serienbrieffunktion zu verwenden. Bei einer
Software, die eigentlich selbsterklärend sein sollte, sei das natürlich
"ärgerlich", meint der Usability-Experte. Ein weiteres Problem vieler
Anwendungen sei eine zu komplizierte Menüführung -- auch bei der
Hilfe-Funktion. Da die Komplexität der Software weiter zunehme und diese
immer öfter ohne Handbücher ausgeliefert werde, würden die Programme
schnell unübersichtlich.

 Dabei misst die Softwarebranche dem Thema Gebrauchstauglichkeit
mittlerweile den "höchsten Stellenwert" bei, betont Hansjörg Zimmermann,
Usability-Experte beim Deutschen Multimedia Verband (dmmv[2]) in
Düsseldorf. Denn wenn Verbraucher mit einem Produkt nicht umgehen können,
wirke sich das auf ihr weiteres Kaufverhalten aus. Sprich: Sie kaufen vom
betreffenden Hersteller keine weiteren Programme mehr. Allerdings räumt
Zimmermann ein, dass die Belange der Endanwender noch nicht ausreichend
berücksichtigt werden: "Hier bestehen heute noch viele Defizite. Es gibt
immer noch zu wenig Standards, die der User begreift und nachvollziehen
kann."

 Tim Bosenick, Geschäftsführer der IT-Beratungsfirma Sirvaluse[3] in
Hamburg, die ebenfalls Usability-Tests vornimmt, hat ähnliche Erfahrungen
gemacht: "Erschreckend wenige" Programme würden vor der Markteinführung
überhaupt eine Usability-Prüfung durchlaufen. Bosenick schätzt ihren Anteil
im Business-to-Consumer-Bereich, wozu beispielsweise Homebanking-Software
zählt, auf gut ein Drittel. Im Business-to-Business-Bereich, wozu
Unternehmenssoftware gehört, sei die Lage geradezu "grottig" -- hier finde
kaum eine Überprüfung statt. Dabei lassen sich Bosenick zufolge die
Bedürfnisse von Anwendern recht gut ermitteln. Sirvaluse etwa nimmt dazu
Tests mit Probanden vor, die repräsentativ für die Zielgruppe der
jeweiligen Software sind. Dabei müssten die Kandidaten mit den Programmen
bestimmte Aufgaben bewältigen, erklärt Bosenick. Gestik, Mimik und
Bewegungen mit der Maus werden gefilmt, anschließend führen Interviewer
eine Befragung durch. Das Verhalten der Kandidaten und ihre Antworten
werden danach genau analysiert, um herauszufinden, "wo es hakt" und die
Software noch nachgebessert werden muss.

 Ein Beispiel dafür, wie sich dieses Prozedere gleich in den
Entwicklungsprozess integrieren lässt, liefert der US-amerikanische
Hersteller Microsoft[4]: Seit 1988 testet dort eine so genannte Usability
Group, der neben Entwicklern auch Psychologen und Soziologen angehören, die
Programme von Beginn an mit ausgewählten Anwendergruppen. Das Verfahren
habe sich bewährt, sagt Thomas Baumgärtner, Pressesprecher von Microsoft
Deutschland. Die Entwickler erhielten umgehend Rückmeldungen bei Problemen
und könnten rechtzeitig vor dem Verkaufsstart neue Lösungsansätze finden.

 Ein Problem sei jedoch, dass es Softwarehersteller nicht allen Anwendern
Recht machen könnten, gibt Baumgärtner zu bedenken. Jede
Usability-Anpassung laufe letztlich auf Kompromisse hinaus, da die Nutzer
zu unterschiedlich seien und zu verschiedene Anforderungen hätten. Ein
Grund für viele Softwareprobleme sei auch Ungeduld: "Nutzer wollen erst
ihre Arbeit erledigen, bevor sie die Anleitung lesen", klagt der
Pressesprecher. Viele Anwender seien dann unzufrieden, obwohl sie ihr
Programm gar nicht richtig kennen.

 IT-Experte Hans Günter Siebert hingegen macht als Hauptursache für
mangelnde Gebrauchstauglichkeit vieler Software ein gravierendes
Verständnisproblem der Programmierer aus: Da sie aus der "technischen Ecke"
kämen, könnten sie häufig nicht nachvollziehen, was Endverbrauchern
Schwierigkeiten bereitet. Das vermutet auch Tim Bosenick von Sirvaluse:
"Die sind zum Teil so abgehoben, dass sie die Bedürfnisse der Nutzer nicht
mehr blicken." Zudem halten sich Siebert zufolge viele Programmierer für
"intuitive Usability-Experten" -- was sie keinesfalls seien, aber selbst
große Softwarehersteller hätten Schwierigkeiten, sich gegen diese Lobby
durchzusetzen. (Felix Rehwald, dpa) / (jk[5]/c't)

URL dieses Artikels:
 http://www.heise.de/newsticker/data/jk-09.12.02-001/

Links in diesem Artikel:
 [1] http://www.tuvit.de/
 [2] http://www.dmmv.de/de/7_pub/homepagedmmv.cfm
 [3] http://www.sirvaluse.de/deutsch/home/index.html
 [4] http://www.microsoft.com
 [5] mailto:jk at ct.heise.de

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